Cyberpunk 2020 … im Realitäts-Check

Collage by KLK

Die 90er waren das goldenes Zeitalter der Rollenspielsysteme. Ständig wurden neue veröffentlicht und bereits 1992 erschien die deutsche Übersetzung von Cyberpunk 2020. Das Spielsystem stand damals wie heute im Schatten von Shadowrun, das die düstere Zukunft noch mit Elfen, Drachen usw. kindgerecht dekoriert hat, im Kern aber eine recht ähnliche Zukunft beschwor, die allerdings erst im Jahr 2050 angesiedelt war. Cyberpunk 2020 war da schon näher am Jetzt. Zeit also am Ende des realen Jahres 2020 zu rekapitulieren, was heute Realität ist und wo die nostradamischen Spieleerfinder gründlich daneben lagen.

Megakonzerne

Die Zukunft gehört den Megakonzernen. Sie teilen die wirtschaftlichen Claims mit harten Bandagen untereinander auf, kontrollieren die Geldflüsse und sitzen an den Schalthebeln der Macht. Nationale Regierungen sind nur noch Marionetten, die an den Fäden der weltweit agierenden Megakonzerne hängen. Diese erlassen Gesetze, geben Pässe heraus und sprechen Recht. Und irgendwie scheinen die meisten davon deutsche oder japanische Wurzeln zu haben.

Schaut man sich heute um, so ist der Trend zu immer größeren Konzernen offensichtlich, auch wenn der überwiegende Teil davon weder deutsch noch japanisch ist. Den nationalen Gesetzen können sie sich aber noch nicht entziehen, wie man beim Diesel-Skandal erleben durfte, von autokratischen Staaten mit denen man trotz unliebsamer Gesetze gerne Geschäfte machen will einmal ganz zu schweigen. Zudem vergällen interne Complience-Abteilungen den Konzernbossen von heute den Spaß an der Macht. Ich vergebe daher nur 3 von 10 Nostradamus-Punkten.

Politische Umwälzungen

1996 sind die Vereinigten Staaten zusammengebrochen. Die Schere zwischen Arm und Reich wurde zu groß, bürgerkriegsähnliche Zustände brachen aus und das meiste Land gehört nun Agrarkonzernen. Zudem gibt es keine Mittelschicht mehr: Entweder du tanzt nach der Pfeife der Konzerne, hast ein geregeltes Einkommen, lebst in relativem Luxus und Sicherheit, oder du lebst auf der Straße, wo ganze Familienclans als Nomaden umherziehen und die Gewalt herrscht oder das Kriegsrecht gilt (was mehr oder weniger das gleiche ist). In Großbritannien sieht das ähnlich aus und nur in der EU gibt es noch funktionierende Nationalstaaten, die sich halbwegs gegen die Konzerne behaupten können.

Der Nahe Osten wurde von einem Atomkrieg heimgesucht, und die Überlebenden träumen zwischen den Trümmern vom Dschihad. Afrika berappelt sich politisch, während die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (kennt die noch jemand?) am langen Arm der EU hängt.

Was die USA betrifft ist diese Vision durchaus trendy, dürfte aber hoffentlich noch etwas Zeit brauchen. Dass auch Großbritannien dem transatlantischen Bruder hierbei über den Jordan folgt passt zu den Brexit-Verhandlungen. Der Nahe Osten ist zwar nicht im Atomkrieg versunken, aber so richtig wundern würde das auch niemanden. Und was den Dschihad betrifft: Volltreffer! Bliebe noch die EU mit ihrer vergleichsweise sonnigen Zukunft, die man als EU-Bürger vielleicht verschnupfter sieht als ein Außenstehender, die aber dicht dran ist an der Vision. Bliebe noch der Aufstieg Chinas, den die Cyberpunk-Macher nicht auf der Rechnung hatten. Ich vergebe daher insgesamt mal 5 von 10 Nostradamus-Punkten.

Die Technik

Die Verbindung von Mensch und Maschine ist Normalität geworden, egal ob es sich hier um ein Auto, eine Waffe oder implantierte Cyberausrüstung handelt. Von letzterer gibt es eine Menge krassen Scheiß, vor allem was Waffen betrifft. Die Grenzen des eigenen, hinfälligen Körpers sind somit aufgehoben.

Wer heutzutage blind ist oder im Rollstuhl sitzt kann bezeugen, dass wir davon noch eine ganze Ecke weg sind. Wobei Nervenverbindungen zwischen Menschen und Maschinen bald das Laborstadium verlassen. Aber bis wir die Zustände von Cyberpunk 2020 erreichen dürften noch einige Jahre vergehen, und ob es real jemals Sinn machen würde so viel Hardware in einen einzelnen sterblichen Menschen zu investieren erscheint doch zweifelhaft. Ich vergebe also mal 4 von 10 Nostradamus-Punkten.

Was Cyberpunk für 2020 nicht vorhergesehen hat

Auf viele Errungenschaften unserer heutigen Realität sind die Cyberpunk-Macher nicht gekommen: Funktelefone sind noch fast so groß wie ihre C-Netz-Ahnen in den 80ern, und dass jede Rotzgöre ein Smartphone mit mehr Rechenleistung als ein Space-Shuttle besitzt wurde auch nicht vorhergesagt. Die Zeitung wird gefaxt und die „Matrix“ mutet im Vergleich zum heutigen Internet der Dinge reichlich antiquiert an. Dafür gibt es Infoterminals im Format von Litfaßsäulen, über die man Informationen von Medienkonzernen abrufen kann. Selber etwas veröffentlichen kann man aber nicht, wobei ich mir nicht sicher bin, ob diese Erfindung für die Menschheit wirklich so segensreich war (vom vorliegenden Beitrag einmal abgesehen). Die Klimaerwärmung wird ebenfalls nicht erwähnt, wobei zumindest von Dürren in den USA die Rede ist.

Auch einen weiteren Trend hat Cyberpunk 2020 nicht vorausgesehen, nämlich der zu immer mehr Rollenspielerinnen. Im Regelwerk von 1992 wird in der Tat kein einziger weiblicher Spielercharakter als Beispiel aufgeführt, umgekehrt haben sich die Zeichner aber bemerkenswert viel Mühe mit der Abbildung formschöner, dürftig bekleideter Nichtspielercharaktere gegeben. Für die damalige Zielgruppe (zu der ich mich zugegebenermaßen auch zählen durfte), war das sicherlich ein Kaufargument, aber aus heutiger Sicht wirkt das schon peinlich. Dafür vergebe ich somit 0 von 10 Nostradamus-Punkte.

Fazit

Gemittelt kommt Cyberpunk 2020 auf 3 von 10 Nostradamus-Punkte und steht damit vermutlich besser da, als der echte Nostradamus. Genug in meinen Augen, um dem System auch in den realen 2020ern noch eine Chance zu geben. Und dass die Corona-Pandemie nicht vorhergesagt wurde, Schwamm drüber – den Mist kann man weder als Zukunft noch als Gegenwart brauchen …

Der will doch nur spielen

Foto by SAK

Es ist Donnerstag, 18:30 Uhr und das Spiel kann beginnen – theoretisch jedenfalls. Die ersten treffen pünktlich ein, die letzten durch den Verkehr, das Arbeitsaufkommen oder das eigene Zeitmanagement behindert 30 Minuten später. Man tauscht sich aus über die Geschehnisse der Woche, die Bautätigkeiten am heimischen Chalet und Game Of Thrones. Die meisten sind sich einig, nicht bereits jetzt das Ende der achten Staffel wissen zu wollen.

Schließlich wird es Zeit für die Rekapitulation der letzten Geschehnisse. Theoretisch jedenfalls, denn zunächst muss die Pizza ausgewählt werden. Zermürbt von der ewigen Frage nach Salami oder Schinken bzw. Mozarella oder Gorgonzola brütet das Häuflein der Gerechten über der vergilbten Bestellliste, die der Hausherr hinter dem Schrank hervorgeklaubt hat. 20 Minuten später greift besagter Hausherr zum Telefon, während sich die verbleibenden Spieler ihr Hirn nach dem letzten Spielabend zermarten, dabei aber immer wieder zu GoT abschweifen. Die Erlösung bringt die Nachricht, dass Pizza Finale dicht gemacht hat. Die Auswahl der Pizza und damit die Beantwortung der selben quälenden Fragen beginnt von Neuem, Erkenntnisse aus dem ersten Durchgang erweisen sich als nicht übertragbar, weil Pizza Nuevo auch „normalen“ Käse anbietet (was immer das sein mag).

Einen Bestellvorgang später erzählt der Spielleiter was zuletzt geschehen ist, und was die Spielercharaktere dabei übersehen haben. Draußen dämmert es.

Vom Landeplatz unseres Raumschiffs wird unser Häuflein zum Haus des Gouverneurs geleitet, wo wir zum Essen vorgeladen werden, obwohl einzelne nicht mal mit Messer und Gabel essen können. Ein extrovertierter Charakter beginnt mit alten Abenteuern zu prahlen, während das Begrüßungskommittee amüsiert lauscht und zu einer Antwort ansetzt.

Zwischenfrage: Wie ist das mit der Feuerrate des Maschinengewehrs? Im Regelwerk steht da ein „F“, im Charakterbogen aber ein „E“. Nun gut, die Charaktere sind gerade bis auf ein Fischmesser unbewaffnet, aber man muss schließlich vorbereitet sein. Der Spielleiter studiert unter den stumpfen Blicken der Spieler aufmerksam das Regelwerk und findet nach zähem Suchen die Antwort (es ist ein „F“).

Während wir den nun virtuell kalt gewordenen Fisch in Minzsoße genießen, zählt der Spielleiter die anwesenden Nichtspielercharaktere auf. Eine davon ist attraktiv und im gebärfähigen Alter. Logischerweise sitzen alle Spielercharaktere an ihrem Tischende. Stimmung kommt auf und einzelne Sätze werden in wörtlicher Rede vorgetragen. Auf eine Bemerkung bezüglich des Wetters schüttet uns der Spielleiter ihr Herz aus. Wir erfahren ohne lästige Zwischenfragen, dass es eine Art Verschwörung geben muss (in die vermutlich die Herren am anderen Tischende verstrickt sind – wir winken), dass sie an einer peinlichen Körperstelle ein Furunkel hat, dass ihr Geliebter verschollen ist, und dass wir uns daher zwecks Rettung in dessen Häuschen einfinden mögen, in dem es nach den Geboten der Logik und des vorliegenden Abenteuers einfach Hinweise auf seinen Verbleib geben muss.

Nun könnte es bei dem ein oder anderen klingeln, warum sein Charakter zum Essen eingeladen wurde, zunächst aber klingelt es beim Gastgeber der Heldentruppe: Der Sendbote von Pizza Nuevo, Retter der darbenden Spieler ist eingetroffen. Sechs mal 800 kcal später geht es weiter, inkl. der medizinisch notwendigen Pause für drei Espressi und zwei Aperitif. Mittlerweile ist es trotz Hochsommer draußen Nacht.

Im Haus des Verschollenen – die Tür stand offen – liegt auf dem Wohnzimmertisch eine Landkarte, in die der vermisste Hausherr mit rotem Filzstift ein Kreuz angebracht hat. Man würde sich wirklich wünschen, dass mehr Menschen vor ihrem Verschwinden so umsichtig sind. Die Rettungsaktion kann also beginnen – theoretisch jedenfalls.

Denn zunächst stehen noch Reisevorbereitungen an. Die im Pizza-Schlaf liegenden Spieler versuchen also zu kalkulieren, wieviel Tagesrationen Nahrung nun in einem „Punkt“ Ladekapzität stecken und wieviele „Punkte“ wiederum in unserem Boot bzw. Schiff stecken (die Klassifizierung ist strittig). 30 Minuten später einigen wir uns salomonisch darauf die zur Verfügung stehende Ladekapazität gleichmäßig zwischen Proviant, Kohle und Munition aufzuteilen. Nicht dass wir wüssten worauf wir schießen sollen, aber wie einst General Custer am Wounded Knee sind wir einfach heiß auf Action.

Wir steigen ins Boot und tuckern los. Die letzten 30 Minuten des Spielabends werden dann auch ohne Schießerei tatsächlich noch abenteuerlich …

… ehe uns kurz vor Mitternacht das Sandmännchen holt.

Okay, so dick kommt es zum Glück nur selten und ein paar literarische Freiheiten habe ich mir auch genommen. Es geht mir auch nicht um einzelne der obigen Punkte, aber nur zu oft bleiben von fünf Stunden Spielzeit in Summe gerade mal 2 1/2 übrig. Und wenn diese Zeit nicht für’s Rollenspiel, sondern für Regelfragen, Inventarlisten usw. drauf geht, ist das aus meiner Sicht sehr schade. Wie es besser gehen könnte, das will ich im nächsten Beitrag zeigen – theoretisch jedenfalls. Und wie sieht’s bei euch aus – habt ihr Tipps oder Erlebnisse zum Thema?

Sein oder Nichts sein

Foto by SAK

von Klaus

Es gibt diese Spielercharaktere, die man einfach gerne spielt, die ihrem Spieler ein überlegenes Lächeln auf‘s Gesicht zaubern. Helden, die unter den Gefährten respektiert und von den Gegnern gefürchtet sind, die coole Marotten haben und Erfahrungspunkte einheimsen wie Eichhörnchen Nüsse. Und dann gibt es die andere Sorte, bei deren Erstellung die Inspiration gefehlt hat, bei denen man regeltechnisch einiges verbockt hat, die im Vergleich völlige Nieten sind, die man vom Spielleiter aufgedrückt bekommen hat oder die einem einfach charakterlich nicht liegen.

Den Diener der drei bis vier Musketiere vielleicht (das Abenteuer war ursprünglich für vier Spielercharaktere gedacht, aber man kann es natürlich auch zu fünft spielen), den Barden in der Gruppe (Barbar, Dieb und Magier waren in Rekordgeschwindigkeit vergeben, während man selbst gerade den Pizza-Boten bezahlt hat) oder den Bordarzt des Expeditionsraumschiffs (der Spielleiter hat DRINGEND empfohlen, dass jemand in der Gruppe sich mit so was auskennt … blöd nur, dass der dann später an Bord die Stellung halten soll).

Und dabei sollte doch gerade beim Rollenspiel die große Freiheit herrschen, sollte man sich richtig heldenhaft ausleben können und keinen erbärmlichen Loser spielen müssen. Oder? Aber so eindeutig ist das eben nicht und so wie das richtige Leben keine völlige Freiheit bietet, so gibt es die auch im Spiel nicht. Mit dem kleinen Unterschied, dass man im richtigen Leben immer den selben Schlaffi spielen muss, während man im Spiel immer wieder neue verkörpern darf.

Superheld oder Verlierer …

Wenn die Welt in dem anstehenden Abenteuer ohnehin gleich untergeht, kann man spielen, wen man will. Aber falls die Prinzessin aus den Fängen des dunklen Lords befreit werden soll, dann macht es eben keinen Sinn partout einen Schwarzmagier spielen zu wollen. Außer vielleicht, wenn Spieler und Spielleiter gemeinsam kreativ werden und bereit sind Kompromisse zu schließen. Vielleicht ist besagter Schwarzmagier ja durch die Minions-Prüfung gerasselt und sinnt nun auf Rache? Oder der greinende König zahlt dem Finsterling eine runde Summe für sein Experten-Know-How?

Vieles ist machbar, wenn Spieler und Spielleiter gemeinsam kreativ werden und kompromissbereit sind. Als Spieler sollte man dieses Vertrauen dann allerdings auch rechtfertigen und nicht das Abenteuer sprengen, indem man die Gefährten bei der ersten Gelegenheit an den dunklen Lord verkauft. Ja, die rollenspielerische Freiheit kennt Grenzen und Star Wars wäre nie über die erste halbe Stunde hinaus gekommen, wenn Han Solo nicht über seinen Schatten gesprungen wäre.

Vorbereitet sein …

Ob und wie ein Schuft in die Gruppe passt kann sich der Spielleiter vorher überlegen, schließlich ist der Freiheitsdrang der Spieler bei der Charaktererschaffung keineswegs unabsehbar. Wenn man aber zu dem Ergebnis kommt, dass das nicht funktioniert, muss das der Spieler auch akzeptieren.

Schwierig ist es aber, wenn das Abenteuer schon so angelegt ist, dass es eine starre Hierarchie in der Gruppe gibt. So was sollte man nach Möglichkeit vermeiden, denn niemand will auf Dauer den Stiefelputzer eines anderen Charakters oder den lustigen Sidekick der Hauptperson spielen müssen. Und wenn es denn wirklich unumgänglich ist sollte man als Spielleiter wenigstens etwas Fingerspitzengefühl zeigen, und die Rolle des führenden Charakters nicht auch noch dem dominantesten Spieler geben. Sonst ist der Frust leider vorprogrammiert.

Und wenn es trotzdem schief geht und man trotzdem mit seinem Charakter unglücklich ist lohnt es sich das Gespräch mit dem Spielleiter zu suchen. Gemeinsam findet sich schon eine Lösung. Oder man hält eben durch – der nächste Spielercharakter wartet schließlich gleich um die Ecke.

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